Moloka’i – die freundliche Insel

Unberührt, natürlich und ursprünglich. Von Trubel oder Staus keine Spur. Auf Molokai, der „Friendly Island“, geht es gemächlich zu. Hier ist Entschleunigung und die für die Südsee typische Leichtigkeit des Seins angesagt.

Wir haben für das Erste genug von Oahu. Honolulu, Waikiki, Pearl Harbour, aber auch die Sandstrände der Nordküste wollen wir hinter uns lassen. Suche nach Natur pur und einem Schuss Einsamkeit abseits der ausgetretenen Touristenpfade ist angesagt. Molokai ist dafür genau richtig: Das Eiland ist mit 60 Kilometern Länge bei 16 Kilometern Breite relativ klein und alles andere als dicht besiedelt. Knapp 8000 Menschen leben hier. Massentourismus á la Oahu, Maui, Kauai oder Big Island ist unbekannt. Die Einwohner setzen alles daran, ihre Insel so ursprünglich hawaiianisch wie möglich zu erhalten. Die Natur soll sich weitgehend ungestört genießen lassen – von Einheimischen und den Gästen.

Soweit die Theorie. Dass diese Aussagen nicht ganz falsch sein können, erahnen wir schon auf der Anreise von Oahu nach Molokai. Von Waikiki zum Flughafen herrscht auf dem Highway H1 der für Honolulu übliche rege Verkehr. Das Terminal für die Inselflüge am Rodgers Boulevard wird lediglich von drei Fluggesellschaften mit kleinen Maschinen genutzt. Zwar kommen wir auch hier nicht um den obligatorischen Sicherheitscheck herum. Doch der Andrang hält sich in engen Grenzen. Wir checken bei Mokulele Airlines ein. Die Fluggesellschaft fliegt auch die kleineren Flughäfen auf Oahu, Maui, Big Island – und eben Molokai – mehrfach am Tag an und ist für unser Insel-Hopping ideal. Ein Vorteil ist, dass die zehnsitzige Cessna Caravan ausschließlich Fensterplätze anbietet. Das Gepäck ist schnell verstaut. Der Co-Pilot steht an der vierstufigen Treppe, über die wir in das Flugzeug steigen, und nimmt uns auch den Rucksack ab. Ohne diese Geste wäre es zwischen den Sitzreihen einfach zu eng.

Von Honolulu nach Ho’olehua dauert der Flug nur eine knappe halbe Stunde. Aus relativ geringer Höhe bieten sich uns tolle Ausblicke. An Honolulu vorbei nehmen wir Kurs auf Waikiki, zum Diamond Head und weiter zur Ostküste der Hauptinsel. Das ist „Flightseeing“ vom Feinsten – und zwar ganz nebenbei. Nach einigen Minuten über dem Pazifik nähern wir uns schon Molokai. Der erste Eindruck: Viel grünes, hügeliges und von tiefen Einschnitten durchzogenes Buschland und dazwischen rote Erde. Der Flughafen auf Molokai ist winzig. Rucksack und Koffer bekommen wir gleich neben der Treppe in die Hand gedrückt.

Hawaii SignBis zum Terminal sind es nur wenige Schritte, rasch haben wir den unentbehrlichen Mietwagen übernommen und sind auf dem Weg nach Kaunakakai. Der Hauptort der Insel ist nur zehn Minuten mit dem Auto entfernt. Dort leben knapp 3000 Menschen und damit mehr als ein Drittel der gesamten Bevölkerung. „Mach langsam, Du bist auf Molokai“, ist ein geflügeltes Wort, das wir immer wieder zu hören bekommen. Bereits beim Verlassen des Airports wird uns deutlich vor Augen geführt, was die Stunde geschlagen hat: „Wer es eilig hat, ist auf der falschen Insel“, verkündet ein Schild in großen Buchstaben.

Eile tut auf den wenigen Kilometern nach Kaunakakai auch nicht Not. In der einstigen Paniolo-Stadt – Paniolo werden auf Hawaii die Cowboys genannt – hat sich seit Jahrzehnten nicht viel verändert. Der Ort könnte leicht als Kulisse für einen Film aus den 1940er Jahren herhalten. Die Hauptstraße Ala Manama Avenue ist nach einem in der Nähe gelegenen, in den 1860er Jahren von King Kamehameha V bewohnten Haus benannt. Einige Läden und Boutiquen laden zum Bummeln ein, sind aber in erster Linie auf den täglichen Bedarf der Bevölkerung eingestellt. Die Schule ist nur wenige Schritte entfernt, während die Gotteshäuser von gut einem halben Dutzend Konfessionen entlang des Highways wie Perlen an einer Schnur nebeneinander aufgereiht sind. Eine Shopping Mall oder Neonreklamen sucht man ebenso vergeblich wie etwas so Selbstverständliches wie eine Verkehrsampel. Die Beispiele verdeutlichen, dass der Tourismus keine herausragende Rolle spielt. Das heißt nicht, dass Gäste nicht willkommen wären. Im Gegenteil! Nur: Die Einheimischen leben eher vom Anbau von Wassermelonen und Saatgut. Generell bilden der Fischfang und insbesondere die Landwirtschaft die wirtschaftliche Basis der zum größten Teil unberührten Insel, die auch die „vergessene Insel“ genannt wird. Viele Molokiner pendeln täglich mit der Fähre Molokai Princess über den Kalohi Channel zum eineinhalb Stunden entfernten Lahaina auf Maui, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das Schiff legt am Ende der mit mehr als einem Kilometer längsten Mole des 50. US-Bundesstaates im Hafen von Kaunakakai an. Dort lassen sich auch die Einheimischen gut dabei beobachten, wie sie sich ihr Essen angeln, während die Boote der Fischer leise tuckernd von ihren Fahrten zurückkehren.

Fishing boat

Hier auf Molokai sind die wenigen Restaurants und Hotels natürlich Anlaufpunkte für die Touristen. Von der Tankstelle mit ihren für amerikanische Verhältnisse hohen Kraftstoffpreisen kann man das dagegen nicht behaupten. Einen entsprechenden Mietwagentarif vorausgesetzt, kommt der Urlauber kaum in die Verlegenheit, seinen Tank auffüllen zu müssen. Dafür sind die Entfernungen einfach zu kurz. Das Straßennetz besteht im Wesentlichen aus einem in West-Ost-Richtung verlaufenden Highway, von dem außerhalb des Hauptortes nur wenige Seitenstraßen abgehen. Die Insel ist eine natürliche Spielwiese, die zu Erkundungstouren geradezu einlädt. Ob auf einem kurzen Spaziergang, einer Wanderung, einer Radtour, beim Schwimmen oder mit dem Kajak. An manchem einsam gelegenen Strand, insbesondere an der Westküste, stechen einem höchstens jene Fußabdrücke in die Augen, die man gerade selbst in dem weichen, weißen Sand gesetzt hat. Auch unser Ziel liegt im äußersten Westen. Zunächst machen wir aber einen Abstecher nach Norden und werfen einen Blick auf den berühmtesten Ort der Insel. Er stellt nicht nur ein atemberaubendes Stück Natur dar, sondern erzählt auch eine bedrückende Geschichte von menschlichem Leid, Ignoranz und Menschlichkeit: den Kalaupapa National Historical Park.

Father DamienDie mit fast 600 Metern höchsten Küstenklippen der Erde, von Wind und Regen geformte Täler und wie Ausrufezeichen entlang der Küste liegenden winzigen Inseln umgeben die Kalaupapa Halbinsel. Auf drei Seiten eingebettet von den fast unüberwindbaren Bergen, galt die Halbinsel fast hundert Jahre lang als einer der einsamsten Flecken auf der Erde. Die Bewohner eines 900 Jahre alten Fischerdorfes wurden vertrieben, um Platz für eine unmenschliche Quarantänestation zu machen. 1865 war ein Gesetz gegen die Ausbreitung von Lepra beschlossen worden. Menschen, die Symptome der Krankheit zeigten, wurden lebenslänglich nach Kalawao im Norden der Halbinsel verbannt. Zunächst waren es zwölf Patienten, später folgten Menschen jeden Alters und verschiedenster Nationalitäten. Bis zu 600 Personen lebten auf der Halbinsel unter ärmlichsten Bedingungen, da die Überlegung der Regierung, die Bewohner der Siedlung könnten sich durch den Anbau von Süßkartoffeln und der Fischerei selbst versorgen, nicht aufging. Ab 1873 kümmerte sich der belgische Missionar Father Damien um die Patienten und kämpfte bis zu seinem Tod 1889 für deren Rechte. Ihm gleich taten es einige Franziskanerschwestern aus dem US-Bundesstaat New York unter der Führung von Mutter Marianne – sowohl Father Damien als auch Mutter Marianne wurden von der katholischen Kirche vor einigen Jahren heiliggesprochen.

Die Quarantäne für die Bewohner von Kalaupapa ist längst Geschichte und Lepra eine Krankheit, die durch die moderne Medizin beherrscht wird und ihren Schrecken verloren hat. Einige ehemalige Patienten leben aber nach wie vor – heute allerdings freiwillig – auf der Halbinsel, auf der die Zeit stehengeblieben scheint. Besuche sind nur im Rahmen von Touren möglich. Die bequemste Art der Anreise ist ein Flug von Hoolehua in den Park, von wo aus es im Bus durch den Ort geht. Die einzige Alternative ist der schwindelerregende Abstieg über einen steilen Pfad, der in 26 Spitzkehren auf knapp fünf Kilometern fast 600 Höhenmeter überwindet. Uns ist der gut einstündige Abstieg zu Fuß angesichts des deutlich länger dauernden Aufstiegs zu anstrengend, während der ebenfalls angebotene Ritt auf Mauleseln, die in den Kurven halb über dem Abgrund schweben sollen, uns nicht geheuer ist.

Kalaupapa

Der Palaau State Park hat neben dem Blick aus der Vogelperspektive ein weiteres Highlight zu bieten. Nach wenigen Minuten Fußmarsch durch einen Wald aus Eisenholzbäumen erreichen wir einen den hawaiianischen Ureinwohnern heiligen Platz: Kaule O Nanahoa oder Phallic Rock. Der Legende nach lebten der Fruchtbarkeitsgott Nanahoa und seine Frau Kawahuna auf diesem Berg. Eines Tages kam ein junges Mädchen und betrachtete sein Spiegelbild in einem Teich. Sie bemerkte, dass Nanahoa sie bewundernd betrachtete und lächelte ihn an. Kawahuna packte daraufhin das Mädchen wütend am Haar, was Nanahoa so aufbrachte, dass er seine Frau den Berg hinunterstieß und in Stein verwandelte. Auch er erstarrte zu Stein, aber seine Fruchtbarkeit kam in diesem beeindruckenden Fels zum Ausdruck. Wenn eine Frau ein Opfer bringt und die Nacht hier verbringt, so will es der Glaube der Hawaiianer, wird sie schwanger.

Wir machen uns auf den Rückweg ins Tal und weiter zur Westküste. Unterwegs passieren wir mit Kualapuu und – auf einem kleinen Umweg – Maunaloa zwei Ortschaften, die einst von Ananasplantagen geprägt waren. Insbesondere Maunaloa hat etliche Einwohner verloren, seitdem mit der Schließung der Plantage viele Arbeitsplätze weggefallen sind. Überhaupt: Der Westen ist die am dünnsten besiedelte Region Molokais. Vor einigen Jahrzehnten wurde direkt an der Küste ein Resort mit Golfplatz eröffnet. Geblieben sind neben dem Platz einige Ferienwohnungen und Einfamilienhäuser. Die kurvenreiche, enge Straße windet sich fast bis ans Meer und erschließt eine Reihe malerischer Buchten mit kleinen Stränden sowie den fünf Kilometer langen Papohaku Beach. Wegen gefährlicher Strömungen sollte man hier zwar nicht schwimmen. Dafür entschädigen aber die spektakulärsten Sonnenuntergänge, die die Insel zu bieten hat, für die rumpelige Anfahrt.

Papohaku Beach

Einer der Hauptanziehungspunkte für uns ist nicht direkt auf dem Eiland zu finden, sondern in den warmen Gewässern zwischen den Inseln. Die Rede ist von den Walen, die sich während der Wintermonate von Dezember bis in den April hinein im Kalohi Channel zwischen Molokai und Maui tummeln. Für unsere Tour am frühen Morgen haben wir uns mit Mike Holmes von Fun Hogs Sportfishing einen der profundesten Kenner der Gewässer des hawaiianischen Archipels ausgesucht. Wir treffen den 73-Jährigen auf seinem Boot Ahi im Hafen von Kaunakakai. Holmes ist auf Oahu aufgewachsen und seit seinen jungen Jahren auf dem Wasser zu Hause – ob als Rettungsschwimmer am berühmten Strand von Waikiki, als Bodyboarder, Surfer, Ruderer oder als Weltklassesegler. Allein achtmal hat er zwischen Oahu und Molokai an den Langstreckenrennen mit Outriggerkanus teilgenommen und zwanzig Jahre lang Mannschaften trainiert. Seit Ende der 1990er Jahre lebt er zurückgezogen auf Molokai und lässt es etwas ruhiger angehen – und ist mit seinen Angel-, Schnorchel- oder Whale-Watching-Touren noch immer fast täglich auf dem Ozean zu finden.

Apropos finden: Wir haben es auf die Humpback Wale abgesehen. Bis zu 12.000 dieser beeindruckenden Tiere legen jeden Herbst auf dem Weg von Alaska nach Hawaii fast fünftausend Kilometer in weniger als zwei Monaten zurück. 75 Prozent von ihnen bringen im warmen und seichten Wasser zwischen Molokai, Lanai und Maui ihre Jungen zur Welt. Für uns bedeutet das hervorragende Chancen auf eine Begegnung der besonderen Art. Kaum haben wir das offene Meer erreicht, halten wir Ausschau nach kleinen Wasserfontänen und den typischen gekerbten Schwanzflossen. Es dauert nicht lange und ich sehe einen schwarzen Punkt im Wasser, gefolgt von einer Fontäne und einer Flosse als der Koloss abtaucht. Es sollte nicht der einzige Wal bleiben. Mike macht uns immer wieder auf einen aufmerksam, während wir vor der südwestlichen Küste Molokais kreuzen. Sie halten Abstand und sind nur schwer auszumachen, wenngleich das Meer heute ganz ruhig ist. Dennoch kommen wir auf unsere Kosten und können einige gelungene Schnappschüsse als Souvenir mit nach Hause nehmen.

Humpback Whale

Die Tour mit Mike ist zwar nach knapp drei Stunden vorbei, von Walen haben wir dennoch nicht genug. Auf dem Weg zum Halawa Valley ganz im Osten der Insel, wollen wir unser Glück versuchen. Der Highway folgt mehr oder weniger der Küstenlinie. Nur wenige Kilometer außerhalb von Kaunakakai werden die Häuser weniger, die Straße schmaler und die Kurven häufiger. Bei den Kolokoeli Fishponds legen wir einen kurzen Stopp ein. Im 13. Jahrhundert gab es hier bis zu 62 dieser gemauerten Fischteiche. Eine oder mehrere Tore ließen das Meerwasser und kleine Fische hinein, hielten aber größere Raubfische fern. In den Teichen wuchsen die Fische auf eine Größe heran, dass sie nicht mehr entkommen konnten.

Eine gute Stunde brauchen wir für die 32 Kilometer zum malerischen Halawa Valley, dem Ort der ältesten Siedlung auf Molokai. Die Straße ist nun so eng, dass wir kaum schneller als mit zwanzig Stundenkilometern vorwärts kommen. Am Eingang der Bucht ist ein Strand mit schwarzem Sand und schwarzen Lavasteinen, während im hinteren Teil des enger werdenden Tales ein Wasserfall zu erahnen ist. Dazwischen befinden sich Taro-Felder, die hin und wieder – allerdings nicht während unserer Zeit auf der Insel – bei geführten Touren zu besichtigen sind.

Beach Molokai

Die Begegnung mit den Walen hat uns neugierig gemacht. Im Südosten Molokais sollen die Humpbacks häufig von Land aus zu sehen sein. Also nutzen wir auf der Rückfahrt die Gelegenheit und halten immer wieder einmal an, um Ausschau zu halten. Tatsächlich, wir haben Glück: Gleich drei der riesigen Säugetiere lassen sich nicht weit von der Küste sehen und tauchen wenig später, Schwanzflosse schwingend, unter.

„Das dürfte es für uns gewesen sein, was die Wale und Molokai angeht“, schießt es mir durch den Kopf. Zu diesem Zeitpunkt ahne ich noch nicht, dass es anders kommen könnte. Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Flugplatz regnet es in Strömen. Die wenigen Meter vom Gebäude zur Maschine reichen, um durchnässt zu werden. Doch kaum hat die Cessna in Richtung Maui abgehoben, klart es auf. Wir sind noch relativ tief, als wir das Meer erreichen. Und siehe da: Unter uns schwimmt eine Gruppe von vier oder fünf Walen gemächlich, wie es sich für Molokai gehört, im warmen Wasser.

Photos: Beate Kreuzer; Hawaiian Tourism Authority;

Whale Molokai


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