„Der Zehenknochen ist mit dem Fußknochen verbunden, der Fußknochen ist mit dem Beinknochen verbunden, der Beinknochen ist …” Was Kleinkinder im Reim spielerisch über das Skelett erfahren, wird in den Black Hills von South Dakota auf den Kopf gestellt. In der Mammoth Site im Städtchen Hot Springs, im Süden der Region unweit der Grenze zu Nebraska, ist alles ganz anders. Knochen gibt es dort auch – winzig kleine und riesige. Miteinander verbunden sind sie nicht, dafür aber für die Wissenschaft von außerordentlichem Wert und obendrein eine touristische Attraktion der besonderen Art. Wo vor zigtausend Jahren Prärie-Mammuts in einem mit warmem Wasser gefüllten Loch umkamen, werden die Überreste dieser Mammuthus columbi unter den Augen von Besuchern ausgegraben und konserviert. Wir gehen auf Mammutjagd in South Dakota.
Hot Springs ist das südliche Tor zu den Black Hills. Deren Top-Attraktionen wie das Mt. Rushmore National Monument oder das ebenso überwältigende wie längst noch nicht fertiggestellte Crazy Horse Memorial, aber auch das Jewel Cave National Monument und der Custer State Park mit seiner an die 1.500 Köpfe zählenden Büffelherde sind noch ein bis zwei Autostunden entfernt. Lohnt sich da ein Stopp in dem in reizvoller Landschaft auf 1.000 Meter Meereshöhe gelegenen Städtchen mit gut 3.500 Einwohnern? Die Antwort ist ein ganz klares Ja. Dabei hat das Zentrum mit seinen in die Jahre gekommenen mehreren Dutzend Sandsteingebäude nicht allzu viel zu bieten. Daran ändert auch nichts, dass das Anfang des vorigen Jahrhunderts gebaute United States Department of Veterans Affairs Hospital in das Verzeichnis der Denkmäler von nationalem Wert aufgenommen worden ist. Die Einrichtung mit dem Namen „Battle Mountain Sanitarium” gilt als das älteste in den USA für seine Veteranen eingerichtete Krankenhaus.
Die Gründe für einen Zwischenstopp haben vielmehr direkt oder indirekt mit dem zu tun, was der Name Hot Springs andeutet: heiße Quellen. Zunächst, sozusagen zum Aufwärmen, ist das 1890 errichtete Hallenbad Evans Plunge zu nennen. Der Boden des Pools wird von einem durch das Gebäude fließenden Bachlauf gespeist, der pro Minute an die 60.000 Liter 31 Grad warmes Thermalwasser liefert. Vor allem Kindern bieten Rutsche und Ringe, an denen man sich über das Wasser schwingen und fallenlassen kann, einen Riesenspass.
Das für die Black Hills milde Klima mit einer jährlichen Durchschnittstemperatur von fast zehn Grad hat seit jeher eine große Anziehungskraft auf Mensch und Tier entwickelt. Lange bevor Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten weißen Siedler hierher kamen, kämpften die Indianerstämme der Lakota und Cheyenne immer wieder um die Vorherrschaft. Die Schlacht am Battle Mountain ist nur ein Beispiel hierfür. Angespornt von den mit hohem Gras bewachsenen Hügeln bestimmte bald die Rinderzucht das Wirtschaftsleben in Minnekahta (warmes Wasser), wie der Ort in den ersten Jahren nach der Gründung bis zur Umbenennung 1886 bezeichnet wurde. Noch heute gibt es in der Umgebung zahlreiche Ranches – und in nur etwa 20 Kilometer Entfernung mit der von Dayton O. Hyde aufgebauten Black Hills Wild Horse Sanctuary eine Heimat für mehr als 500 wilde Mustangs. Die Sanctuary ist mit ihren Touren längst zu einem eigenen touristischen Ziel geworden, das offiziell zu Hot Springs zählt. Leider werden aktuell keine Touren mehr durchgeführt.
Direkt an der Stadtgrenze befindet sich aber der eigentliche Anziehungspunkt des Ortes: die Mammoth Site of Hot Springs. Dort dreht sich alles um Mammuts, genauer gesagt, um die Präriemammuts. Diese gewaltigen Tiere mit einer Widerristhöhe von mehr als vier Metern und zehn Tonnen Gewicht bevölkerten vor etwa 26.000 Jahren die Ebenen und Hügel im Süden der Black Hills. Angezogen wurden sie während der damaligen Eiszeit offenbar von dem saftigen hohen Gras, das hier dank der warmen Quellen kräftig gedeihte – schließlich verschlangen diese Elefanten-ähnlichen Riesen täglich mehr als vier Pfund an Vegetation. Ihren Durst löschten sie an den von den Quellen gebildeten Wasserlöchern. Eines davon sollte sich als tödliche Falle herausstellen. Beim Absuchen des Randes nach Pflanzen und Wasser wagten sich Mammuts entweder in das Loch, oder sie rutschten hinein. Auch wenn angenommen wird, dass sie gute Schwimmer waren, wurde schnell klar, dass es keinen Weg zurück geben würde. Verzweifelt versuchten die Schwergewichte, den steilen Rand zu erklimmen. Doch die durchweichte Erde gab bei jedem neuen Versuch mehr nach. Völlig entkräftet ertranken oder verhungerten die Mammuts in dem Wasserloch. Im Laufe von 300 bis 700 Jahren sollen an der Stelle mehr als 100 Präriemammuts, ihre haarigen Verwandten – Wollmammuts – und andere Tiere ihr Leben verloren haben.
Bei dem teilweise mit Wasser gefüllten Loch handelte es sich um einen Erdfall oder Krater. Entstanden dürfte er sein, als die Decke einer Höhle einstürzte. In der so entstandenen, etwa 50 mal 30 Meter großen Delle in der Erde sammelte sich unter dem Druck eine artesische Quelle mit 35 Grad warmem Wasser. Was einst ein Loch war, verwandelte sich im Laufe der Jahrtausende durch die Erosion der umliegenden Gesteinsschichten in einen Hügel – und den (Unter)Grund für die Ausgrabungsstätte, die den Mittelpunkt der Mammoth Site bildet und sowohl Wissenschaftlern als auch Besuchern einen Einblick in die Eiszeit gewährt.
Zu verdanken ist dies einem Zufall und dem Engagement einiger Männer und Frauen aus Hot Springs. Vor fast genau 40 Jahren, im Juni 1974, gehörte das Gelände am Stadtrand von Hot Springs Phil Anderson. Der Bauunternehmer wollte dort Wohngebäude errichten. Dass es hierzu nicht kam, liegt an der Entdeckung, die Baggerfahrer George Hanson beim Planieren eines Hügels machte. Die Schaufel seines Bulldozers blieb an etwas hängen, das im Sonnenlicht weiß schimmerte. Hanson schaute genauer nach und fand einen gut zwei Meter langen, der Länge nach halbiertem Stoßzahn und weitere Tierknochen. Er nahm einige der Funde mit nach Hause, um sie seinem Sohn Dan zu zeigen, der am Chadron State College im benachbarten Nebraska Vorlesungen in Geologie und Archäologie besucht hatte. Der junge Mann rief seinen früheren Professor Dr. Larry Agenbroad an und bat ihn, sich die Fundstelle anzuschauen. Aus dieser Besichtigung entwickelte sich die Sicherung und Bergung der Knochen durch eine Gruppe Studenten, der Ankauf des Geländes durch einen eigens gegründeten Verein und schließlich die Mammoth Site in ihrer heutigen Form. Dieser war der in 2014 verstorbene Agenbroad als Leiter sehr lange eng verbunden.
Die Fundstelle ist für die Wissenschaft von so großer Bedeutung, weil der Erdfall den Zusammenhang bewahrte, in dem die Tiere gefangen wurden. Sie ermöglicht genauere Vorstellungen zu den vor 26.000 Jahren, der Zeit als die Tiere verendeten, herrschenden Umweltverhältnissen zu gewinnen. Die ersten Ausgrabungen fanden unter freiem Himmel statt. 1986 wurde dann das inzwischen erweiterte Gebäude übergeben, das neben der Ausgrabungsstätte samt Lagerräume und Labore auch ein Museum und einen Laden umfasst.
Eine Besonderheit der Mammoth Site ist, dass dort fast ausschließlich echte Knochen und diese obendrein in einer aktiven Ausgrabungsstätte zu sehen sind. „Die Hauptausgrabungszeit bei uns ist im Juni und Juli. Dann graben Crews des Earthwatch Institutes die Knochen aus. Wir prüfen sie und entscheiden, ob sie von ihrem Platz entfernt werden sollen. Unser Ziel ist es, sie in sito – also an Ort und Stelle – zu sichern”, erklärt Olga Potapova, die für die Sammlung verantwortliche Wissenschaftlerin. Manchmal ist nicht klar, zu welchem Skelett ein Knochen gehört. „Dann müssen wir sie wegbringen. Dazu legen wir ein Jackett aus Gips, Holzstäben und Metallrahmen an. Hier im Labor werden sie dann präpariert”, erläutert sie. Vordringlich sei das säubern der häufig winzig kleinen Funde. Für einen Mammut-Schädel seien Hunderte von Stunden nötig. „Man muss sehr, sehr geduldig sein. Die die Knochen umgebende Erde ist hart wie Stein. Es ist ein riesiges dreidimensionales Puzzle”, erfahren wir. Unglücklicherweise sei alles, was sie ihn ihren klimatisierten Schränken aufbewahrt in einem sehr zerbrechlichen Zustand.
Das macht auch die Arbeit bei den Ausgrabungen nicht leichter. Jeden Sommer müssen 60 bis 80 Tonnen an Gestein und Erde weggeschafft und draußen gesiebt werden. „In der Grabungsstelle selbst hat man keine Chance, Exemplare wie kleine Knochen, kleine Zähne oder Schneckenschalen, zu finden”, weiß die Wissenschaftlerin. Dennoch: Die Arbeit lohnt sich offenbar. Von den anfangs an dieser Stelle vermuteten etwa 100 Mammut-Skeletten wurden bislang bereits 61, weitgehend vollständige, gefunden; davon 58 Präriemammuts und 3 Wollmammuts. Hinzu kommen die Knochen von 85 weiteren Arten wie Hasen, Schnecken, Muscheln, Kojoten, Frösche oder auch eine längst ausgestorbene Bärenart.
Den Besucher erwartet nicht nur ein Blick ins Labor, wo Potapovas Mitarbeiter mit kleinen Pinseln ihrer mühevollen Kleinarbeit nachgehen. Auf einem Rundgang oder während einer Führung, die auch in deutscher Sprache angeboten wird, können sie selbst in die inzwischen mehrere Meter tiefe Grube steigen und die Knochen aus der Nähe betrachten. Dazu gibt es an mehreren Stationen Erläuterungen der zu sehenden Fossilien. An Station A zum Beispiel schauen Backenzähne von Mammuts aus der Erde heraus, die einer Schuhsohle ähneln. Ein Mammut hatte jeweils vier Zähne gleichzeitig im Maul. Sie besaßen eine große, raue Kaufläche. War nur noch ein Rest übrig, wurde dieser durch den von hinten nachfolgenden Zahn im Kiefer langsam nach vorn geschoben und schließlich ausgestoßen. Wie die heutigen Elefanten verfügten Präriemammuts über sechs solcher Sets. Die Abnutzung des Letzten bestimmt schließlich die Lebensspanne des Tieres, die durchaus 70 Jahre betragen konnte. Blickt man in die Ausgrabungsstätte hinein, entdeckt man einen Knochen, der wie ein riesiger Schmetterling aussieht – es handelt sich jedoch um ein Mammutbecken.
Bei den meisten der bisher gefundenen Skeletten fehlte der Kopf. Unter der Ausgrabungsstätte dürften sich noch zahlreiche weitere Skelette und einzelne Knochen befinden. Um wie viele es sich handelt, kann aber niemand sagen. Probebohrungen haben jedoch ergeben, dass sich auch einige Meter unter dem jetzigen Grabungsniveau noch Fossilien befinden. Erst im Juli 2013 wurde der 121. Stoßzahn eines Mammuts gefunden. Obwohl somit erst etwa die Hälfte des Geländes untersucht ist, enthält die Mammoth Site bei Hot Springs die weltweit größte Konzentration von Prärie- und Wollmammuts, die in ihrer ursprünglichen Umgebung – also an dem Platz, an dem sie starben – gefunden wurden. Die Mammoth Site wurde 2013 mit der höchsten Nationalen Anerkennung für Museen ausgezeichnet.
Mammoth Site
1800 US 18 Bypass, Hot Springs, SD 57747 * Tel: 605-745-6017 * https://mammothsite.org
Die Mammoth Site befindet sich ca. 1 Std. vom Rapid City Flughafen entfernt und ist ganzjährig geöffnet.
Eintritt $14; Kinder 4-12 Jahre $11; Senioren ab 60 Jahren $12. Die Touren dauern jeweils 30 Minuten.
Photos: Beate Kreuzer; Chad Coppess/South Dakota Tourism Office;