Idyllischer geht es kaum, so denkt man sich. Schon aus der Ferne zieht einen das malerische 500-Seelen-Dorf Jerome vor der mächtigen Kulisse des Mingus Mountain in Arizona in seinen Bann. Highway 89A schlängelt sich in mehreren engen Serpentinen hinauf bis auf 1,600 Meter, wo sich auf halber Strecke zwischen Sedona und Prescott das ehemalige „Milliarden-Dollar-Kupfer-Camp” sanft aber bestimmt an den rostroten Hang des Cleopatra Hill schmiegt.
Die augenscheinliche Wildromantik täuscht jedoch allzu leicht über die durchaus turbulente Vergangenheit der heutigen Künstlerkolonie hinweg. Eine Zeit, als der Westen noch wild, die Schmelztiegel noch heiss und das tägliche Leben hochexplosiv waren. Zwar aus frenetischer Suche nach Edelmetallen geboren, schaffte es Jerome jedoch – ungleich der meisten anderen Goldgräbergemeinden – das drohende Schicksal einer verwaisten Geisterstadt abzuwenden. Jerome ist ein Ort, der einst die volle Wucht des Untertagebaus mit all seinen skurrilen Nebenschauplätzen, Heimsuchungen und Ausuferungen zu spüren bekam. Ein Ort voller Geschichte und Geschichten. Und voller Gespenstergeschichten…
Geisterhafte Idylle im wilden Westen
Als sich im Zuge des kalifornischen Goldrausches die Edelmetallvorkommen nahe der Erdoberfläche in den dortigen Flüssen und Schluchten Mitte der 1850er Jahren dem Ende zuneigten, waren die tapferen Pioniere und Schürfer der ersten Stunde vor eine schwierige Entscheidung gestellt. Entweder sie heuerten bei den grossen Bergbaugesellschaften an, die mithilfe reicher Investoren und schwerem Gerät viel tiefer in den Fels vordringen konnten, oder sie versuchten ihr Glück anderswo in bisher unerforschten Gefilden. Sich als Bergmann auf Tageslohn zu verdingen hatte zwar den Vorteil eines regelmässigen Verdienstes, im Gegenzug dafür musste man jedoch sämtliche Funde des kostbaren Erzes an den Arbeitgeber abtreten. Für viele Goldgräber stellte dieser Verzicht auf Unabhängigkeit keine akzeptable Alternative dar. Aus diesem Grund waren sie nicht nach Kalifornien gekommen. Mit neuem Mut und erweitertem Wissen über Gesteinsschichten und Mineralien wandten sich viele der Männer nun wieder gen Osten und folgten den Flussläufen in die Gebirge Nevadas und Arizonas. Wieder gab der Erfolg denen recht, die zuerst kamen und zuerst mahlten. Aber auch das Ende des amerikanischen Bürgerkrieges wenige Jahre später spielte keine unbedeutende Rolle in der Erschliessung des Westens. Unzählige Veteranen wurden in eine ungewisse Zukunft entlassen, infizierten sich mit dem neuesten Gold- und Silberfieber und fanden sich kurz darauf als Abenteurer oder Erzsucher im Arizona Territory wieder.
Die Geschichte des Bergbaus am Cleopatra Hill beginnt genau genommen schon viel früher. Noch bevor die spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert die Gegend auf der Suche nach den sieben Städten aus Gold durchstreiften, gruben die einheimischen Yavapai hier bereits nach Kupfer und Edelsteinen für ihr Schmuckhandwerk. 1876 schliesslich meldeten die ersten Pioniere hier Schürfrechte an, gaben ihren Anspruch allerdings etwas vorzeitig wieder auf, bevor sie um die tatsächlichen Reichtümer tiefer im Erdinneren wussten. Die United Verde Copper Company übernahm die Rechte kurze Zeit später, benötigte aber, aufgrund des unwegsamen Terrains und der damit verbundenen hohen Transport- und Betriebskosten Anfang der 1880er Jahre, eine zusätzliche Finanzspritze. Die kurzfristige Rettung kam in Gestalt des New Yorker Investors Eugene Jerome. Der aber verlangte für seinen Einsatz von $200.000, dass das winzige Goldgräberlager in Jerome umbenannt wird. Eugene selbst bekam das Örtchen, das nun seinen Namen trug, allerdings nie zu Gesicht. Die Entwicklung zur aufstrebenden Boomtown kam erst richtig in Gang, als William A. Clark die United Verde Kupferbergbaugesellschaft 1888 für rund $80.000 aufkaufte und ein Schmalspureisenbahnnetz von über 40 Kilometern Länge in und auf den Berg bauen liess. Noch vor der Jahrhundertwende fuhr der neue Minenmogul einen Reingewinn von rund 1 Million Dollar pro Monat ein.
Clark wusste nicht nur seinen eigenen Profit zu maximieren, sondern auch, was er seinen hart arbeitenden Angestellten schuldig war. So brachte er das Unternehmen mit elektrischen Loks, Beleuchtungen und einer modernen Schmelze auf den neuesten technischen Stand. Zum Schutz der Arbeiter implementierte er auch die landesweit strengsten Sicherheitsmassnahmen im Untertagebau. Seine Bergleute und deren Familien genossen damals schon den Schutz einer Krankenversicherung und konnten Leistungen und Beihilfen in Anspruch nehmen, die heute nicht mehr selbstverständlich sind. Für sie baute er Unterkünfte, Kirchen und Schulen und gründete mit Clarkdale 1912 die erste familienfreundlich geplante Gemeinde des Landes. Jerome erreichte seine höchste Bevölkerungsdichte mit über 15.000 Einwohnern in den zwanziger Jahren, kurz vor der Weltwirtschaftskrise. Die Entdeckung immer neuer, reichhaltiger Edelmetallvorkommen in der näheren Umgebung und auch direkt unter der Stadt bewahrte sie zwar mehrmals vor dem wirtschaftlichen Niedergang, hatte aber drastische Auswirkungen auf die Umwelt und die Statik der Siedlung selbst. Beissender Rauch aus den Schmelzen, der jahrzehntelang den Hügel emporstieg, vernichtete jegliche Vegetation in Hanglage. Massive Sprengungen im Inneren des Berges liessen letztlich einen gesamten Stadtteil den Cleopatra Hill hinabrutschen. So ist das damalige Gefängnis, welches nach 70 Metern wieder zum Stehen kam, nun Zeitzeuge dieser „bewegten” Vergangenheit und stellt als Sliding Jail eine recht kuriose Besucherattraktion dar.
Vom Bergbaudorf zur Künstlerkolonie
Mit dem deutlich verfallenden Rohmetallpreis in den Nachkriegsjahren und der stetig sinkenden Qualität des örtlichen Erzes fand auch die Kupferproduktion in Jerome schliesslich ihr Ende. 1953 war Schicht im Schacht für die letzte Mine der einst blühenden Stadt, und die Einwohnerzahl fiel erstmals seit über 70 Jahren auf unter 300. Insgesamt wurden hier auf mehr als 140 Tunnelkilometern über 1 Million Pfund Gold, 50 Millionen Unzen Silber und 2,5 Milliarden Pfund Kupfer abgebaut, was dem ehemaligen Schürferlager zum Beinamen „Billion-Dollar-Copper-Camp” verhalf. Es folgten Jahrzehnte geprägt von Existenzkampf und Identitätsfindung des Ortes, bis nach und nach Künstler, Freigeister und eine neue Unternehmergeneration Jerome für sich entdeckten und die Gemeinde in das Idyll verwandelten, das heute so viele Besucher verzaubert.
Wiederbelebt aus der Zeit des rauen Westens wurden nicht nur die architektonisch wunderschönen Gebäude, sondern auch die unzähligen, teils unheimlichen Geschichten, die in ihnen entstanden und die Zeiten überdauerten. Übersinnliche Sichtungen und unerklärbare Phänomene haben in den letzten 20 Jahren offensichtlich eine Intensität und Häufigkeit erreicht, dass Jerome sich heute ganz oben auf die Liste der paranormalen Feldforscher befindet. Seit nunmehr 13 Jahren verinnerlicht die Stadt des Kupfers und der Kunst dieses Thema und machte es zu ihrem Motto. Spuk und Spass werden vor allem im Oktober ganz GROSS geschrieben und mit verschiedenen Veranstaltungen zelebriert. Den Höhepunkt bildet der jährliche, von der örtlichen Feuerwehr organisierte Halloween Ball am letzten Samstag des Monats. Aber auch an den Wochenenden zuvor können Sie sich auf die gespenstische Zeit des Jahres im Rahmen eines Ghost Walk einstimmen. Von der Historischen Gesellschaft Jeromes ins Leben gerufen, begeben Sie sich auf einen geführten nächtlichen Rundgang durch den Ort, vorbei an verschiedenen Stationen, wo besonders schaurige Ereignisse der Vergangenheit von Schauspielern nachgestellt werden. Unnötig zu erwähnen, dass diese Orte um Halloween von „endoplasmatischer Aktivität” nur so strotzen. Hotellerie und Gastronomie gleichermassen erkannten recht bald, was die Geisterstunde geschlagen hatte und machten die örtlichen Spuklegenden zum Programm. Nicht verwunderlich, dass nun die meisten Herbergen und Restaurants ihren Gästen mindestens eine schaurig-schöne Gruselgeschichte zu erzählen haben.
Alles nur Spuk?
Alles unter einem Dach befindet sich im Jerome Grand Hotel, welches majestätisch und unübersehbar über den Dächern der Stadt thront. Erbaut 1927 als betriebseigenes Krankenhaus der United Verde Copper Company für Angestellte und Familien, musste es mit dem Niedergang des Kupferbergbaus in der Region nach nur 23 Jahren seine Pforten wieder schliessen. Fast ein halbes Jahrhundert später fanden sich Mitte der neunziger Jahre endlich geeignete Investoren, die nicht nur an einer kommerziellen Nutzung des Gebäudes interessiert waren, sondern auch am Erhalt seiner historischen Integrität. Folglich wurde zwar ausgiebig restauriert, jedoch innen, wie aussen architektonisch nichts am imposanten spanischen Missionsstil verändert. Mit dem Wiederaufbau des Gemäuers und dessen Wiederbelebung als Hotel wurde jedoch auch einigen Spukgeschichten längst vergangener Tage wieder neues Leben eingehaucht. Auf der hoteleigenen „Ghost Hunt” hat man die seltene Gelegenheit, unter Anleitung und mithilfe einer speziellen Kamera und diverser Messgeräte – die man bis zur Morgendämmerung behalten kann – selbst auf Geisterjagd zu gehen.
Auch das über 120 Jahre alte Ghost City Inn kann ein paar Geschichten erzählen. Um 1890 erbaut, diente es hauptsächlich als Fremdenheim für das mittlere Management der örtlichen Bergbaugesellschaft. Während der Prohibition fanden dort jedoch auch Schwarzbrenner eine Zeit lang Unterschlupf. So waren die Schuldigen schnell ausgemacht als 1930 ein Destillierapparat explodierte und plötzlich das gesamte Obergeschoss in Flammen stand. Seit den späten 70er Jahren waren zeitweise ein Ashram, eine Kunstgalerie und ein Restaurant darin untergebracht, bis 1994 das Gebäude vor weiterem Verfall bewahrt und einer kompletten Restauration unterzogen wurde. Heute ist es ein Bed & Breakfast, das einige Auszeichnungen für hervorragende Gastlichkeit vorweisen kann. Natürlich brennt Besuchern von nah und fern stets auch die Frage nach übersinnlichen Erscheinungen auf der Zunge. Laut Eigentümerin sind es hauptsächlich Gäste zweier bestimmter Zimmer, die von paranormalen Aktivitäten berichten. So soll sich z. B. im Cleopatra Hill Room der gutmütige Geist von Grandma Garcia, der früheren Herbergsmutter, schon öfters um das Wohl erstaunter Urlauber gekümmert haben. Machen Sie sich jedoch keine weiteren Gedanken, der Besitzer verbürgt sich als hiesiger Polizeichef persönlich für die Sicherheit seiner Gäste.
Selbst wenn Sie für Spukgeschichten nichts übrig haben, hält das historische Städtchen einige sehenswerte Attraktionen für Gross und Klein parat. Eine gute Idee ist es, den Jerome State Historic Park mit der Douglas Mansion als erste Station eines Besuches anzusteuern. Der Park bietet nicht nur eine exzellente Einführung in die Geschichte der Stadt und des lokalen Bergbaus, sondern auch eine fantastische Aussicht auf das Verde Valley, das „grüne Tal”, bis hin zu den roten Felsen Sedonas. Schwindelfreie Besucher sollten nicht die Gelegenheit verpassen, im benachbarten Audrey Shaft Headframe Park auf einer Glasplattform stehend hinunter in einen 600m tiefen Minenschacht aus dem Jahre 1918 zu blicken. Runden Sie ihre Reise in die Vergangenheit mit einem Abstecher in das Mine Museum der Historischen Gesellschaft ab. Es ist bequem zu Fuss zu erreichen, da mitten im Ortszentrum gelegen. Eine altersgerechte Zeitreise für jüngere Besucher hält Gold King Mine Ghost Town bereit. Hier können sich Junior-Historiker in einer authentischen kleinen Geisterstadt austoben und es den Pionieren beim Goldwaschen gleichtun.
Auch die Kulinarik kommt in Jerome nicht zu kurz, denn an Restaurants mangelt es hier nicht. Buchstäblich auf Schritt und Tritt finden Sie urige Lokale, die nicht nur ausgezeichnete Speisen servieren, sondern Sie für Ihren Besuch auch mit einer spektakulären Aussicht belohnen. Den besten Ausblick bietet The Haunted Hamburger, das natürlich auch seinen Beitrag zu den unerklärlichen Phänomenen der Stadt leistet. Geniessen Sie gute amerikanische Küche oder auch nur eine Tasse Kaffe, und fragen Ihre Bedienung vielleicht doch danach, was es mit verschwundenen Hämmern und knallenden Türen im Obergeschoss so auf sich hat…
Jerome Chamber of Commerce
Tel: 928-634-2900 * www.jeromechamber.com
Jerome Historical Society Mine Museum
200 Main St, Jerome, AZ 86331 * Tel: 928-634-5477 * www.jeromehistoricalsociety.com/museums-buildings/mine-museum
Jerome State Historic Park
100 Douglas Rd, Jerome, AZ 86331 * Tel: 928-634-5381 * www.azstateparks.com/Parks/jero
Gold King Mine Ghost Town
Perkinsville Rd, Jerome, AZ 86331 * Tel: 928-634-0053 * www.goldkingmineghosttown.com
Photos: Arizona Office of Tourism; Sedona Tourism Bureau;