Die Präsidentenköpfe von Mt. Rushmore, das riesige, im Entstehen begriffene Denkmal für den Indianerhäuptling Crazy Horse oder die einstige Goldgräberstadt Deadwood. In den Black Hills von South Dakota ballen sich die Sehenswürdigkeiten. Zwei davon laden zur Höhlenforschung ein: das Jewel Cave National Monument und der Wind Cave Nationalpark. Sie gehören zu den bedeutendsten Höhlensystemen der USA.
Tausende Jahre durchstreifen die Stämme der Dakota und Cheyenne das Mittelgebirge an der Grenze von South Dakota und Wyoming. Das nicht nur wegen seines Namens an den Schwarzwald erinnernde, waldreiche Mittelgebirge gilt ihnen als heilig. Auch die Existenz der Höhlen ist bekannt. So gehört zu den Überlieferungen der Sioux eine Geschichte von einem Loch in der Erde. Aus diesem ströme Wind heraus. Auch dieser Ort – es handelt sich um den natürlichen Eingang der Wind Cave – ist ihnen heilig. Dort sollen die Vorfahren aus der Unterwelt gekommen sein, wo sie bis zur Erschaffung der Welt lebten. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, dass die Höhle vor der ersten dokumentierten Entdeckung durch Weiße jemals von einem Menschen betreten worden ist.
Jewel Cave
Ähnliches gilt für die Jewel Cave. Wir nähern uns ihr von Custer aus. Das Städtchen hat sich längst als eines der touristischen Zentren der Region etabliert. Heute leben etwa 2000 Menschen in der ältesten von Europäern in den Black Hills etablierten Siedlung. Benannt ist sie nach Lt. Colonel George Armstrong Custer. Die von ihm 1874 geführte Expedition entdeckt Gold und löst damit einen Goldrausch aus.
Ein Vierteljahrhundert nach diesem Ereignis sind in den Black Hills noch immer Prospektoren auf der Suche nach Bodenschätzen. Frank und Albert Michaud sind zwei von ihnen. Sie sind gut zwanzig Kilometer von Custer entfernt in einer Schlucht unterwegs. Als sie einen kühlen Luftzug spüren, gehen sie der Sache auf den Grund. Der Wind kommt offensichtlich aus einer Spalte in der Erde. Die Öffnung ist für einen erwachsenen Mann zu klein. Sie können sich nicht hindurchzwängen. Also greifen sie zu Dynamit und vergrößern das Loch. „Mit Kerzen ausgerüstet stiegen sie nach unten und staunten über die glitzernden Felsen. Deshalb nannten sie ihre Entdeckung Jewel Cave“, erklärt Rangerin Tara. Sie hat uns im Visitor Center des National Monuments in Empfang genommen. Auf dem Programm steht die „Scenic Tour“, die älteste und populärste Tour. Die Michauds sehen zwar die mit Kristallen aus Kalkspat überzogenen Wände. Gold, Silber oder Edelsteine finden sie aber nicht. Also versuchen sie, ihre Entdeckung auf andere Art und Weise zu versilbern. Sie vergrößern den Eingang noch weiter, bauen im Innern der Höhle Pfade und öffnen sie für Touristen. Ihr Unternehmen ist aber nicht von Erfolg gekrönt. Allerdings spricht sich die Schönheit der Höhle bis nach Washington rum. Dort hat mit Theodore Roosevelt ein den Naturwundern des Westens zugetaner Präsident das Sagen. Er erklärt 1908 die Jewel Cave zum National Monument – nachdem er schon fünf Jahre zuvor die nicht weit entfernte Wind Cave zum Nationalpark erklärt hatte.
Erst in den 30er Jahren wird an der Oberfläche der Jewel Cave die Infrastruktur durch den Civilian Conservation Corps ausgebaut. Der Nationalparkservice übernimmt das Kommando und bietet ab 1939 Touren an. Selbst zwei Jahrzehnte später, ist von den tatsächlichen – riesigen – Ausmaßen des Höhlensystems noch nichts bekannt. Im Gegenteil: 1959 weiß man gerade einmal von drei Kilometer Gängen. „Dann hat man zwei Kletterer aus der Gegend gebeten, bei einer Höhlenerkundung mitzumachen. Das taten sie widerwillig – und kamen von der Höhlenforschung nicht mehr los“, erzählt Tara. Die Rede ist von Herb und Jan Conn, die den Karten 24 weitere Kilometer hinzufügten. Damit nicht genug: Ihnen ist es zu verdanken, dass die Jewel Cave heute als drittlängste Höhle der Welt gilt. Als sich die Conns in den 1980er Jahren aus der aktiven Höhlenforschung zurückziehen, sind 103 Kilometer vermessen und mit Namen versehen.
Inzwischen hat sich diese Zahl noch einmal fast verdreifacht. Lediglich die Mammoth Cave in Kentucky und die Sistema Sac Actun in Mexico sind nach aktuellem Stand der Forschung noch länger. Deren tatsächliche Länge liegt aber ebenso im Dunkel der Erde vergraben wie jene der Jewel Cave. Fachleute haben die Luftströmungen untersucht und gehen davon aus, dass der bekannte Bereich der Höhle nur einen winzigen Teil des gesamten Systems ausmacht. Allerdings ist es mit immer größeren Schwierigkeiten verbunden, will man in noch unbekannte Regionen vorstoßen. „Drei- bis viermal im Jahr machen sich Forscher auf den viertägigen Trip, weitere Passagen zu entdecken“, berichtet Rangerin Belinda Fox während der Tour.
Der von den Michaud-Brüdern entdeckte Eingang ist noch immer der einzige bekannte natürliche Zugang. Wir fahren mit einem Fahrstuhl mehr als 90 Meter nach unten. Der Bau des Schachtes 1977 stellt einen gewaltigen Eingriff in die natürlichen Begebenheiten dar. Mit einer halben Meile ist nur ein Bruchteil der Jewel Cave bei der Scenic Tour öffentlich zugänglich. Dieser Bereich ist ziemlich trocken. Tropfsteinformationen bekommen wir deshalb nur wenige zu sehen. Stattdessen gibt es hier großflächig gut zehn Zentimeter dicke Ablagerungen, die wie halbierte Schneebälle die Decken und Wände bedecken.
Erst im Verlauf der Tour, die über zahlreiche Eisentreppen – 725 Stufen sind auf der knapp ein Kilometer langen Runde zu bewältigen – führt, und durch enge Passagen hindurch gelangen wir in einen feuchteren Bereich. Hier gibt es auch eine ganze Reihe Tropfsteine, darunter sehr schöne rotbraun leuchtende „Schinken“. An unserem letzten Stopp haben sich einige Pools gebildet und es ist relativ feucht. „Dieser Raum war einst vollkommen trocken“, weiß die Rangerin. Der Bau des Visitor Centers und des Fahrstuhlschachts sollen die Veränderung des unterirdischen Wasserhaushalts verursacht haben.
Wind Cave
Oben verlassen wir die Kabine und sind auch schnell aus dem National Monument draußen. Dieses umfasst lediglich gut fünf Quadratkilometer. Eine geradezu winzige Fläche verglichen mit der enormen unterirdischen Ausdehnung. Ganz anders verhält es sich beim großen Nachbarn Wind Cave Nationalpark. Dieser kann in der Unterwelt nicht mit der Jewel Cave mithalten. Zumindest, wenn man die Länge der vermessenen Hallen, Räume, Kammern und Gänge als Maßstab nimmt. In dieser Hinsicht bringt sie es auf „nur“ 230 Kilometer, was ihr in der Welt aber immerhin den sechsten Platz einbringt. In den USA rangiert sie hinter Mammoth und Jewel Cave auf Platz drei.
Dafür hat sie aber an der Oberfläche viel mehr zu bieten. Gut 130 Quadratkilometer umfasst ihr Gebiet und grenzt unmittelbar an den Custer State Park an. Dieser ist bekannt für seine mehr als 1300 wilde Büffel. Diese gehören dem Staat South Dakota. Beim Buffalo Roundup Ende September – längst eine Touristenattraktion in den Black Hills – wird die Herde zusammengetrieben. Auch im Nationalpark wird mit Impfungen gegen Seuchen vorgebeugt und werden Jungtiere aussortiert, um die Größe der Herde zu regulieren. Dies geschieht allerdings ohne großen Trubel. Auf bis zu 400 Tiere wird die Herde geschätzt, die in der Nähe von Hill City grasend über die Prärie zieht. Neben jenen im Yellowstone Nationalpark in Wyoming sind die Bisons im Wind Cave Nationalpark die genetisch reinsten in Nordamerika. Sie haben sich also nicht mit Rindern vermischt. Als das einst Zig-millionen zählende Symboltier des amerikanischen Westens um 1900 nahezu ausgerottet ist, wird gehandelt. Im neuen Wind Cave National Game Preserve – das Schutzgebiet wird später mit dem Nationalpark zusammengelegt – werden 1913 sechs Bullen und acht Kühe aus dem New Yorker Zoo ausgewildert. Drei Jahre später kommen zwei Bullen und vier Kühe vom Yellowstone hinzu. Diese 20 Tiere bilden den Grundstock der heutigen Herde.
Wir nehmen uns viel Zeit für die knapp 60 Kilometer von der Jewel Cave zum Besucherzentrum der Wind Cave. Hinter Custer führt die Strecke am State Park entlang. Wenig später müssen wir anhalten: Ein ausgewachsener Büffelbulle versperrt die Straße und macht auch nur ganz gemächlich Anstalten, den Weg freizugeben. Wenig später sehen wir einen Großteil seiner Artgenossen. Eine Gruppe, die hunderte Tiere zählen dürfte, grast auf der Prärie. Die Rolling Hills mit Ponderosa Kiefern und offener Grasprärie bieten auch anderen großen Tieren ein ideales Umfeld. Hirsche, Rehe und Antilopen lassen sich häufig blicken. Die Kojoten und insbesondere die Berglöwen bekommt man dagegen nicht zu Gesicht. Ganz anders die Präriehunde. Nur wenige Kilometer von unserem Ziel entfernt, haben sie eine riesige Fläche unterhöhlt. Alle paar Meter schaut eines der possierlichen Tierchen aus dem Bau heraus und beobachtet die Umgebung nach potenziellen Gefahren.
Manche davon können schnell real werden. Das erfahren wir später während unserer Natural Entrance Tour mit Ranger Tim. Vor Jahren sei eine junge Frau in der Höhle verloren gegangen. Statt der Empfehlung zu folgen und sich hinzusetzen, hat sie sich in den Gängen verlaufen. 100 Höhlenspezialisten aus etlichen Bundesstaaten benötigten 36 Stunden, um die Frau zu finden. Tim versteht es, mit schauspielerischem Talent und interessanten Geschichten zu fesseln. Dass weder er noch ein Besucher durch den natürlichen Eingang passen würde, wird schnell klar. Das fast quadratische Loch hat eine Kantenlänge von allenfalls 50 Zentimetern. Heraus kommt ein strammer Wind. „Wenn der Luftdruckunterschied zu draußen extrem hoch ist, bläst der Wind in der Höhle schon mal mit Orkanstärke“, erzählt er. Einmal habe man deshalb auch die Führungen einstellen müssen.
Wir nehmen also den durch eine stabile Tür abgeschlossenen Betonpfad nach unten. Nicht nur hier, auch im weiteren Verlauf der Höhle sind die Wege relativ eng und niedrig. Das Besondere an der Wind Cave sind die Decken- und Wandverzierungen durch Boxwork. Sie sind durch Verschiebungen des Berges entstanden und wirken wie die Seiten von offenen Faltschachteln. 95 Prozent der weltweit bekannten Vorkommen solcher Formationen, sind in der Wind Cave zu finden.
Diese befindet sich auf relativ kleinen Raum in etlichen Lagen übereinander – „wie in einem Wollknäuel“, meint einer der Besucher und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Für Tropfsteinformationen ist die Höhle zu trocken. Allerdings führen die Gänge bis zu einer Tiefe von 250 Metern hinunter, wo sich ein riesiger See befinden soll. Von dort wird die Bevölkerung der Region mit Wasser versorgt. „Bei der Entdeckung des Sees zwängte sich ein Forscher durch ein ganz kleines Loch. Plötzlich landete er in einem zwölf Meter hohen Raum. Man brachte dann ein kleines Schlauchboot dorthin. Es wurde mit dem Mund aufgeblasen“, schildert Tim uns die Anstrengungen. Das überraschende Ergebnis: Der See scheint nur sechzig Zentimeter tief zu sein. Die Vermessung ergibt aber eine Tiefe von gut neun Metern.
So abenteuerlich wie dieser Abschnitt der Erforschung ist die Entdeckung des natürlichen Zugangs zur Höhle nicht – zumindest nicht die erste durch weiße Siedler. Es sind die Brüder Jesse und Tom Bingham, die bei einem Ritt auf das pfeifende Geräusch des aus der Höhle ausströmenden Windes angezogen werden. Dieser soll Tom den Hut vom Kopf geweht haben. Als sie einige Tage später mit Freunden zurückkehrten, so will es die Legende, hatte der Wind seine Richtung geändert. Nun wurde Toms Hut in die Öffnung gesogen. Die Begebenheiten sind ähnlich wie in der Jewel Cave. Heute ist bekannt, dass die Windbewegung abhängig vom Luftdruckunterschied zwischen Höhle und Oberfläche ist.
Die Binghams entdecken die Höhle 1881. Sie erhalten die Genehmigung für Bergbau und die Besiedlung des Geländes. Nach einem Rechtsstreit zieht der Bund die Fläche aber 1901 wieder ein – und Anfang 1903 stellt Theodore Roosevelt die Gegend als Nationalpark unter Schutz. Wind Cave ist die erste Höhle, die diesen Status erhält. Der ist nicht gleichbedeutend mit finanziellen Mitteln für den Ausbau der touristischen Infrastruktur. Erst ab den 1960er Jahren wird diese nach und nach modernen Standards angepasst. Dazu gehören auch Straßen wie der Highway 87, der die Verbindung zum benachbarten Custer State Park darstellt – und zu den oberirdischen Anziehungspunkten wie die landschaftliche Schönheit und insbesondere die faszinierende Tierwelt der Black Hills.
Ein Besuch der beiden großen Höhlensysteme von Wind Cave und Jewel Cave lässt sich leicht mit einer Rundreise durch die Black Hills im Südwesten von South Dakota einbinden. Als Standquartier mit Abstechern z.B. zum Mt. Rushmore Nationalpark, Crazy Horse Memorial, Wild Horse Sanctuary und Custer State Park sowie den Höhlen bietet sich das Städtchen Custer an. Der nächstgelegene Flughafen ist Rapid City. Von Deutschland aus täglich mit zahlreichen Verbindungen erreichbar ist Denver. Von dort sind es etwa fünf Stunden Fahrt mit dem Auto.
Photos: Beate Kreuzer; NPS; Chad Coppess @ South Dakota Tourism Office
Jewel Cave National Monument
Tel: 605-673-8300 * www.nps.gov/jeca
Wind Cave National Park
Tel: 605-745-4600 * www.nps.gov/wica
South Dakota Tourism
Tel: 1-800-732-5682 * www.travelsouthdakota.com