Sacramento – Im Rausch des Goldes
„There is plenty of gold, so I’ve been told, in the banks of Sacramento.” Der Refrain des alten Seemannsliedes passt zu unserer Spurensuche. Diese führt uns von San Francisco nach Sacramento und weiter nach Coloma am Fuß der Sierra Nevada. Wir fragen uns, was hat es mit dem legendären Goldrausch von 1849 wirklich auf sich? Schließlich hatte er – wegen eines Nuggets im Wert von wenigen Dollars – gravierenden Einfluss auf die Entwicklung Kaliforniens.
Schon unsere Anreiseroute lässt sich mit den Ereignissen Mitte des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringen. Mit Johannes August Sutter wählte einer der Hauptbeteiligten Anno 1839 einen ähnlichen Weg: Auf dem Rückweg von Hawaii – Mitte des 19. Jahrhunderts noch unter der Bezeichnung Sandwich Islands bekannt – steht für uns ein Zwischenstopp in Kalifornien an. Vom Flughafen San Francisco nach Sacramento sind es knapp 150 Kilometer, die auf dem Interstate 80 flott zurückgelegt sind. Vorbei an Städten wie Oakland, Berkeley und Richmond erreichen wir das Sacramento Valley mit kleinen Orten wie Dixon oder der Universitätsstadt Davis. Hier finden wir mit dem Black Bear Diner ein gemütliches Restaurant in uriger Aufmachung, und ganz nebenbei ergibt sich eine erste Spur in Sachen Gold, auch wenn sie nicht ganz bis ins Jahr 1849 zurückreicht: Vorbild für die 60 über den ganzen Westen der USA verteilten Diners dieser Kette ist ein Lokal, das 1861 ein Goldsucher Namens Sisson im Strawberry Valley bei der nordkalifornischen Stadt Mt. Shasta eröffnet. Das wildromantische Tal ist wegen seiner Beerensträucher bei Bären wie Menschen gleichermaßen beliebt. In der Nachbarschaft wird 1995 das erste Black Bear Diner eröffnet.
Zurück auf der Interstate dauert es nicht mehr lange und am Horizont zeigt sich die moderne Wolkenkratzer-Skyline von Sacramento. Eine halbe Million Menschen leben in der Stadt, im Einzugsgebiet sind es zwei Millionen.
Neben der Heimat der beiden Kammern des Parlamentes ist das an das große Vorbild in Washington D.C. angelehnte Capitol mit seiner 71 Meter hohen Kuppel auch Sitz des Gouverneurs. Zu den prominentesten Inhabern dieses Amtes gehören in den 1970er Jahren der spätere US-Präsident Ronald Reagan und von 2003 bis 2011 mit Arnold Schwarzenegger ein weiterer Schauspieler. Vor allem Letzterer steigerte das Interesse von Touristen und Medien an der Stadt beträchtlich. Für Sacramento und seine Museen wurde das in höheren Besucherzahlen spürbar.
Dazu trägt die Stadt auch selbst bei. Ein Beispiel ist der Bezirk Old Sacramento, der als State Historik Park mit mehr als 100 restaurierten Gebäuden aus der vom Goldrausch geprägten Zeit zwischen 1850 und 1870 aufwartet. Hölzerne Gehsteige vermitteln rund um die zahlreichen Vergnügungsstätten, Museen, kleinen Läden und Restaurants Wild-West-Flair. Auch hier können wir uns der Gründerzeit annähern. 1855 haben sich Collis P. Huntington und Mark Hopkins, zwei Geschäftsmänner aus dem Staat New York, in Sacramento zusammengeschlossen. Innerhalb von wenigen Jahren sind sie treibende Kräfte bei der Verwirklichung der ersten transkontinentalen Eisenbahnlinie. Doch schon vorher spielen sie eine wichtige Rolle für die Wirtschaft des jungen Staates. Auf den Goldfeldern der Sierra Nevada verkaufen sie Baumaschinen und Sprengstoff an die Minen, den Farmern liefern sie Mühlsteine und Holzfäller finden bei ihnen Äxte und Sägeblätter. Zusammen mit dem benachbarten Warenhaus der Stanford-Brüder ist der Gebäudekomplex bald als das Big Four Building bekannt. Es nimmt mehr als einen Straßenblock ein.
In den 1880er Jahren wird das Geschäft nach San Francisco verlegt. Ein Jahrhundert später ist das gesamte Viertel heruntergekommen. Auf die Slums der 1960er Jahre deutet aber heutzutage nichts mehr hin. Im Gegenteil: Old Sacramento ist einer der Hauptanziehungspunkte der Stadt – und mit ihm das California State Railroad Museum. Es ist eines der weltweit größten Eisenbahnmuseen und bietet neben fast drei Dutzend restaurierten Lokomotiven und Waggons einen interessanten Einblick in die Entwicklung der Eisenbahn im Westen der USA. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf Kalifornien und Sacramento, das ab 1856 über eine Eisenbahnverbindung nach Folsom verfügt und 1869 an die transkontinentale angeschlossen wird.
Grandiose Landschaften, pulsierende Metropolen und fruchtbarer Boden: Attribute, die heutzutage gerne mit dem Westküstenstaat in Verbindung gebracht werden, sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts längst noch kein Thema. Erst nach dem amerikanisch-mexikanischen Krieg 1846 bis 1848 tritt Mexiko im Friedensvertrag vom 2. Februar die Gebiete Neu-Mexiko (etwa der heutige Südwesten sowie Kalifornien) gegen eine Zahlung von 15 Millionen Dollar an die USA ab. Insgesamt geht es um eine Fläche von zwei Mio. qkm oder die Hälfte des damaligen mexikanischen Territoriums.
Die Zahl der weißen Siedler in Kalifornien steigt von 1842 bis Anfang 1848 von 5000 auf 14.000 Personen, die der Indianer bleibt mit etwa 40.000 konstant. Für den wachsenden Zustrom aus den USA ist nicht nur die anhaltende Wirtschaftsrezession ein Grund, sondern auch ein Bericht des Entdeckers John C. Fremont, wie wir bei unserem Besuch im Sutter’s Fort State Historic Park schnell erfahren. Fremont findet einen für die Siedler und deren Planwagengespanne geeigneten Weg über die Rocky Mountains und erreicht 1844 erstmals Kalifornien auf dem Landweg. Seine Schilderung der Region, als ein dünn besiedeltes Land mit mildem Klima und gutem Boden, verleidet viele Leute dazu, die Strapazen einer Umsiedlung nach Kalifornien auf sich zu nehmen. Die Tour dauert sechs Monate und ist mit körperlichen Anstrengungen und Entbehrungen verbunden. Heißen und schwülen Tagen folgen oft kalte Nächte, die Reisenden werden vom Regen durchnässt und müssen durch Matsch fahren oder sie leiden unter der sengenden Sonne und schlucken den Staub, den die vorausfahrenden Wagen aufwirbeln. Zur körperlichen Anstrengung kommt die psychische Belastung durch die ständige Gefahr, sich zu verirren oder zu sterben, weil Nahrungsmittel und Wasser ausgehen.
Sie alle sehnen sich nicht nur nach einer neuen Heimat; die Siedler wollen Sicherheit, und die finden sie in einem Landstrich, der hochtrabend Neu Helvetien heißt, aber bald besser unter der Bezeichnung Sutter’s Fort bekannt ist. Johannes August Sutter hat die von ihm 1839 ins Leben gerufene Siedlung nach seiner Heimat benannt. Von dort war er fünf Jahre zuvor geflüchtet, seine Frau blieb mit den fünf kleinen Kindern sowie dem Schuldenberg aus seinem vor dem Bankrott stehenden Tuchwarengeschäft zurück in Burgdorf bei Bern. Seither sucht der 1803 im badischen Kandern geborene Sutter sein Glück in der neuen Welt. Hier borgt und erschwindelt er sich seinen Weg nach Westen. Gouverneur Alvarado erteilt ihm 1839 die Erlaubnis zum Siedeln im Sacramento Valley. 1841 schließlich folgt die gewünschte Landzuweisung über 197 Quadratkilometer, was etwa der Fläche Magdeburgs entspricht. Im Gegenzug soll er die Indianerstämme der Gegend in Schach halten. Zudem darf er an Siedler Pässe ausstellen und ihnen Land zuweisen.
Das Gelände liegt am American River, wenige Kilometer vor dessen Einmündung in den Sacramento. Hier entsteht eine Siedlung, die sich ständigen Zuwachses erfreut. Für das Saatgut und die Zuchttiere als Grundstock für den geplanten Ackerbau und Viehzucht muss er sich verschulden; Jahre später zählt die Rinderherde 20.000 Tiere. Einen weiteren Kredit, den er in den nächsten Jahren mit Ernteerträgen, anderen Produkten und Bar abzuzahlen verspricht, nimmt er für den Kauf des russischen Forts Ross auf. Dieses bringt ihm Bauholz, Kanonen und andere Gerätschaften, die bereits für das nächste Projekt benötigt werden: den Bau eines Forts.
Dessen genaue Größe ist nicht mehr bekannt. Klar ist nur, dass der Nachbau im State Historic Park deutlich kleiner ist. Dieser misst innerhalb der knapp fünf Meter hohen und 75 Zentimeter starken Mauern eine Fläche von etwa 97 mal 47 Meter. Zwei Ecken werden von mit Kanonen bestückten Bastionen geprägt, deren Wände die doppelte Stärke aufweisen. Innerhalb des befestigten Bereichs, der Schutz vor Indianerangriffen und neidischen Konkurrenten bieten soll, befinden sich in den 1840er Jahren Schlafräume sowie Räume für Schreinerei, Schmiede, Waffenschiede, Bäckerei und Schnapsbrennerei sowie eine Getreidemühle und eine Weberei. Tagsüber halten sich 300 Menschen im Fort auf und gehen dort ihren Geschäften nach.
Es dauert Jahre, bis die Anlage dermaßen ausgebaut ist. Derweil kommt es zu politischen Spannungen, die schließlich im amerikanisch-mexikanischen Krieg münden. Gleichwohl schwillt der Siedlerstrom weiter an. Sutter bietet ihnen Schutz und Unterstützung und findet gleichzeitig unter den Neuankömmlingen viele geschickte Handwerker. Diese benötigt er dringend. Dem Schweizer sitzen wieder einmal seine Gläubiger im Nacken. Eine Dürre gefährdet die als Teil der Schuldentilgung gedachte Ernte.
Da kommt ihm das Angebot eines gewissen James Marshall gerade recht. Der bietet dem Patriarchen von Neu Helvetien eine Partnerschaft beim Bau einer Sägemühle an. Die wachsende Siedlung im Sacramento Valley verspricht eine steigende Nachfrage nach Bauholz. Da Sutter auch eine weitere Getreidemühle bauen will, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden, willigt er ein. Den Standort für die Getreidemühle finden sie 40 Kilometer flussaufwärts bei Natomas. Die Sägemühle soll dagegen 20 Kilometer weiter oben in den dicht bewaldeten Vorbergen der Sierra Nevada gebaut werden, in Coloma.
Die für den Bau der beiden Mühlen nötigen Arbeiter findet Sutter unter Männern, die gerade aus dem sich dem Ende zuneigenden Krieg zurückgekehrt sind. Sie schickt er mit Marshall nach Coloma – für uns der richtige Ort, die Suche nach dem Goldrausch fortzusetzen.
Mit dem Auto brauchen wir nur eine Stunde auf dem gut ausgebauten US Highway 50 in Richtung Lake Tahoe, der schon auf der Nevada-Seite der Sierra Nevada liegt. Über schmale Landstraßen geht es an Farmen vorbei durch eine malerische Mittelgebirgslandschaft. Schließlich erreichen wir das Tal des American Rivers, durch das heute die California State Route 49 führt.
Deren Beiname „Gold Country Highway” lässt darauf schließen, dass wir hier richtig sind. In Zusammenhang von Coloma von einem Dorf oder gar Städtchen zu sprechen, wäre allerdings arg übertrieben. Der Ort besteht fast vollständig aus dem Marshall Gold Discovery State Historic Park. In dessen Mittelpunkt steht ein Nachbau jener Mühle, die Marshall für Sutter baute – und wo in den Morgenstunden des 24. Januar 1848 Gold gefunden wurde. Als das Bauwerk auf seine Funktionsfähigkeit getestet wurde, stellte sich heraus, dass der Abfluss des Mühlgrabens zu schmal für die Wassermenge ist. Um ihn zu vergrößern, lockern bei Marshall angestellte Indianer jeden Tag das Gestein, das dann nachts vom Wasser weggespült wird. An jenem Montagmorgen schließt Marshall den Zufluss, um bei niedrigerem Wasserstand den Fortschritt zu begutachten – und sieht etwas Glitzerndes im Ablauf liegen. „Mein Gott, Jungs, ich glaube ich habe eine Goldmine gefunden”, ruft er seinen Leuten zu, die gerade beim Frühstück sitzen und seine Scherze kennen. Erst als Köchin Jenny Wimmer den Stein in heißem Seifenwasser gebadet hat, sind alle davon überzeugt, es mit purem Gold zu tun zu haben.
Marshall sammelt weitere Proben ein und macht sich auf den Weg nach Sutter’s Fort, um seinen Partner zu informieren. Sie kommen schnell überein, den Fund geheim zu halten – schon allein, damit die Arbeiter nicht auf Goldsuche gehen, anstatt die Mühle zu vollenden. Von Erfolg gekrönt ist ihr Vorhaben allerdings nicht. Bald schon spricht sich die Nachricht vom Goldfund am South Fork des American Rivers herum. Im Laufe des Sommers wächst die Zahl der Goldsucher an. Von einem Goldrausch kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Rede sein, auch wenn die Einwohnerzahl des Tales im Juli bereits auf 4000 Menschen geschätzt wird. Nur langsam verbreitet sich die Nachricht über den riesigen Kontinent. Glückssucher aus Chile oder Peru und selbst aus Australien gelangen häufig schneller nach Kalifornien als es von der Ostküste der USA über den Landweg möglich ist.
Erst als Präsident James K. Polk in einer Rede zur Lage der Nation im Dezember 1848 von einem großen Goldfund am anderen Ende des Kontinents spricht, setzt der große Run ein. Bis 1852 steigt die Bevölkerung Kaliforniens auf 200.000 Menschen an. Die meisten von ihnen suchen den schnellen Reichtum auf den Goldfeldern. Sacramento entwickelt sich schnell zu einer Versorgungsstadt für die Minen. Auch in Coloma entstehen Geschäfte und Hotels im Gefolge der Glücksritter. Apropos Glück: Von solchem sind Johannes A. Sutter und James Marshall von nun an verlassen. Beide müssen zusehen, wie Zeitgenossen große Reichtümer anhäufen, während ihnen nichts bleibt und sie Jahrzehnte später verarmt sterben.
Ähnlich ergeht es dem Ort Coloma, der wohl längst zur Geisterstadt geworden wäre, gäbe es nicht den Marshall Gold Discovery State Historic Park. Dieser wurde 1942 gegründet und umfasst fast das ganze Dorf. Neben dem Nachbau der bei Hochwasser bereits in den 1850er Jahren zerstörten Mühle bieten einige weitere historische Gebäude sowie ein Museum mit Besucherzentrum umfangreiche Informationen und Einblicke in die Lebensweise der 49er, wie die Akteure des kalifornischen Goldrausches genannt werden.
Der Boom in Coloma hält nur wenige Jahre. Schnell wird an etlichen Stellen Gold gefunden und die Menschen verteilen sich über die Sierra. Im Laufe von 50 Jahren werden etwa 125 Millionen Unzen (etwa 3800 Tonnen) des Edelmetalls gefördert. Wir folgen diesem Vorbild und dem Lauf des American Rivers auf der State Route 49 bis zur alten Goldgräberstadt Auburn, mit seiner schön restaurierten Altstadt und dem ältesten noch als solches genutzte Feuerwehrhaus des Staates. Hier geht es auf den Interstate 80, an Sacramento vorbei zurück nach San Francisco – jenen beiden Städten, die langfristig wohl am meisten vom Goldrausch des Jahres 1849 profitiert haben.
Photos: Beate Kreuzer; El Dorado County; Sacramento CVB; California State Parks; Sutter’s Fort State Historic Park;