In diesem Jahr feiert der Santa Fe Indian Market, der größte und renommierteste indigene Kunstmarkt der Welt, sein 100-jähriges Bestehen. In keiner einzigen Stadt in den USA gibt es eine so hohe Konzentration an indianischer Kunst wie in Santa Fe, New Mexico. Internationale Besucher kommen nach Santa Fe, um Kunst zu kaufen oder zu verkaufen. Der Indian Market ist eine der traditionsreichsten Veranstaltungen in Santa Fe und gleichzeitig der weltgrösste Markt für Indianerkunst.
Buntes, indianisches Marktgeschehen gehört in New Mexico zu einem der vielen touristischen Anziehungspunkte. Die traditionsreichen Märkte spiegeln einen Teil althergebrachter Lebensgewohnheiten und Kulturbräuche des Staates wider. Der Santa Fe Indian Market wird (unter normalen Umständen)jedes Jahr am dritten Augustwochenende abgehalten und zieht Tausende von Besucher an. Mehr als 1000 indianische Aussteller aus Nordamerika bieten ihre Arbeiten an. Spirituelle Traditionen und Symbole sind Wegweiser für die Arbeit jedes einzelnen Künstlers. Einige bestreiten bei diesem Event den grössten Teil ihres Jahresumsatzes.
Dabei sein ist alles. Ausstellen kann jeder Indianer, der einem Stamm (Tribe) angehört und Materialien verwendet, die authentisch für die Herstellung von indianischer Kunst sind. Ein Blick zurück in die Welt der Indianer verrät uns, welche Rohstoffe sie damals nutzten. Aus Stein, Holz, Sand, Muscheln, Ton, Stachelschweinborsten und Pflanzen haben sie Gebrauchsgegenstände für den alltäglichen Bedarf hergestellt. Dabei spielten die Materialien, die in der Umgebung zu finden sind, eine ausschlaggebende Rolle. Als Werkzeug dienten Muscheln, Tierzähne und bearbeitete Steine. Die Farben wurden entweder aus Beeren und Rinde, oder aus zerstossenen Mineralien gewonnen. Als Gefässe dienten ausgehöhlte Steine oder Tierpanzer, in denen Farbe mit Wasser vermischt wurde. Federn, Haarbüschel und Knochen nutzten sie als Pinsel. Die Rohstoffe sind noch immer die gleichen, die Arbeitsutensilien haben sich allerdings im Laufe der Zeit verändert.
Die Kunst der heutigen Indianer Amerikas besteht im Wesentlichen aus der Kultur und dem Weltbild ihrer Vorfahren sowie aus der Kultur der amerikanischen Gesellschaft, der sie jetzt angehören. Thematisch greifen die Künstler besonders in den Bereichen Malerei, Film und Literatur die Problematik der modernen indianischen Lebenswirklichkeit auf: Traditionelle Kultur und moderne amerikanischen Identität.
Die Southwestern Association for Indian Arts (SWAIA) ist eine Jury, die über die Teilnahmebedingungen des Indian Market wacht. Die Konkurrenz ist gross, jeder will verkaufen und vor allem möchte jeder einen Teil des Preisgeldes gewinnen, das die SWAIA in den verschiedenen Kunstkategorien ausschreibt. Es handelt sich immerhin um eine Gesamtsumme von 100.000 Dollar. Zu den Genres zählen:
- Indianerschmuck (Silber, Perlen, Federn, Türkise etc.)
- Tonarbeiten (Vasen, Teller, Figuren)
- Malerei, Zeichnungen, Grafiken und Fotographie, Holzschnitzereien
- Skulpturen
- Textilien (Weben, Stricken oder Nähen)
- Quiltstickerei (Bezeichnung für Verzierungen, die aus Stachelschweinborsten hergestellt werden)
- Jugendpreis (Teilnehmer unter 17 Jahren)
- Flechtarbeiten
- Diverse Kunst (Tanz, Musik, Literatur)
- Bewegtes Bild (Kurzfilme, Dokumentationen etc.)
Ein gutes Beispiel für eine Mischung von Kunstfertigkeit aus Vergangenheit und dem Heute ist Kathy Wittman-Elkwoman, eine mehrfach ausgezeichnete Künstlerin. Sie stammt aus dem Fort Berthold Reservat in North Dakota und gehört der Mandan-Hidatsa-Arikara Nation an. Ihr Name wurde ihr im Rahmen einer Zeremonie verliehen. Der Elk (Hirsch) steht für die persönliche Kraft, sowohl körperlich als auch mental. Diese Kraft bildet das Fundament für ihre spirituelle Entwicklung. Sie hat schon in ihrer Kindheit das Handwerk ihrer Vorfahren erlernt. All ihre frühen Werke reflektieren den traditionellen Hintergrund ihres Stammes. Heute setzt sie auf Recyclingmaterialen. Anstatt „ab in den Müll” wird sie kreativ und verwandelt Aluminiumdosen und andere Werkstoffe zu Schmuck und Skulpturen. Ihrer Herkunft bleibt sie treu: Alle Objekte repräsentieren ein Motiv aus der Welt der Indianer.
Die Indianer machen aus vielen Anlässen ein Fest. Sie tanzen und halten religiöse Rituale ab. Aufwändig gearbeitete Masken, meistens aus Holz geschnitzt, sind ein wichtiger Bestandteil dieser Zeremonien. Die Träger übernehmen die Kraft der Geister, die diese Masken repräsentieren. Auch Kopfschmuck aus Federn wird zu festlichen Anlässen getragen. Farbe und Beschnitt der Federn sind stellvertretend für eine Art Symbolsprache. Die Federn sind im Kampf errungene Auszeichnungen, so trugen oft die Häuptlinge den auffälligsten Federnschmuck.
Black Eagle ist ein Künstler, der besonders mit seinem Kopfschmuck und ausdrucksstarken Masken Aufmerksamkeit erregt. Er ist in Reservaten in Nevada und Kalifornien aufgewachsen. In den tiefen Wäldern der Sierra Nevada hat er sich lange zurückgezogen. Er unterzog sich, wie viele Indianer, einer Visionssuche, eine Art Übergangsritual zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Die Natur und das Geschehen unter freiem Himmel ist in dieser Zeit eine Art Spiegel, um das Innere zu reflektieren und neue Wege und Ziele zu finden. Black Eagle fand auf diese Weise zu sich selbst, zu seiner inneren Ruhe und Gelassenheit. Heute lebt er in Mountain Ranch, Kalifornien, ist aber auf allen grossen Indianermärkten in den USA zu finden. Er gehört dem Stamm der Shoshone an. Die Wertschätzung seines kulturellen Erbes bringt er in jedem seiner Kunstobjekte zum Ausdruck. Für seine hervorragenden Leistungen hat er viele Preise, Ehrungen und Auszeichnungen erhalten.
Kathleen Wall ist in einer indianischen Künstlerfamilie aufgewachsen, die Storyteller-Figuren (Geschichtenerzähler-Figuren) herstellen. Mit acht Jahren hat sie ihr erstes Werk aus Ton geformt. Mit 17 hat sie eine Kunstschule in Santa Fe besucht und seitdem ist sie in diesem Handwerk aktiv. Storyteller sind indianische Tonfiguren der Neuzeit. Erfunden wurden sie schätzungsweise Anfang des 20. Jahrhunderts. In der Regel besteht die Figur aus einer grossen „Basisfigur“, die die sogenannten „Alten und Weisen“ darstellt und einer oder mehreren kleinen Figuren, die die Nachfahren repräsentieren, an die das Wissen weitergegeben wird. Storyteller gibt es in einer Vielzahl von Grössen und Formen und sie gehören zu den meist gekauften Kunstgegenständen im Südwesten der USA. Eines ihrer Meisterstücke hat Kathleen Wall im vergangenen Jahr auf dem Indian Market am ersten Morgen bereits um 6.30 Uhr für $10.000 verkauft.
Paul Fourhorns Tenoso vom Stamm der Cheyenne River Sioux bearbeitet hauptsächlich Feuersteine. Diese dienten aufgrund ihrer Härte und scharfen Schlagkanten in der Steinzeit in erster Linie dazu, Waffen und Werkzeuge zu produzieren. Sie sind aus aufgelösten Skellettresten von Kieseltierchen entstanden; deshalb finden sich auch häufig Reste von einstigen Lebewesen in den Steinbrocken. Die Feuersteinbearbeitung nennt man Flintknapping. Im Umgang mit dem Stein ist Vorsicht geboten. Der Feuerstein ist ein sehr dichtes Gestein und liefert beim Zerschlagen scharfe Kanten wie Glas. Die Technik erlernte Paul von seinen Vorfahren. Besonders begeistert ihn die Farbenvielfalt. Sie reicht von glasklar über grau, gelb und braun bis hin zu tiefschwarz. Paul nennt den Feuerstein Stahl der Steinzeit. Neben Pfeilen, Dolchen und Beilen ist vor allem seine Messerproduktion gefragt. Er lebt in Rio Rancho, New Mexico und ist jedes Jahr auf dem Indian Market zu finden, und spricht sogar ein wenig deutsch.
Eine Indianerfamilie, die jeder auf der Plaza von Santa Fe kennt, sind die Cajeras. Seit Jahrzehnten stellen sie auf dem Indian Market aus. Sie gehören dem Volk des Jemez Pueblo an. Die Jemez wohnten in kleinen Dörfern entlang des Jemez Rivers bis sie ins Haupttal, westlich der heutigen Hauptstadt Santa Fe, zogen. Das Kunsthandwerk ist von jeher Bestandteil ihres Lebens. Motive, Farben und Herstellungstechniken werden seit Generationen überliefert. Die Familie hat jedes Jahr einen gemeinsamen Stand. Grossvater Aaron ist Töpfer. Die Mutter Esther und Tochter Teri produzieren Tonarbeiten aller Art. Sohn Joe Junior verkauft hauptsächlich Bronze Skulpturen. Vater Joe V. stellt Pfeile und Bogen her, welche zu den effektivsten Waffen der Indianer Nordamerikas gehörten. Die Form und Materialien der Bogen sind unterschiedlich. Je nach Zusammensetzung von Tiersehnen, Pflanzenfasern, Hanfschnüren, Knochen und Hornstücken können die Bögen eine Reichweite von 200 Metern erzielen. Der Pfeil selbst besteht aus Hartholz oder Schilfrohr. Die Spitzen sind aus Knochen, Horn, Feuerstein oder Eisen.
Auf dem Indian Market in Santa Fe gibt es ein grosses Angebot von Waren. Sie können einkaufen, was das Herz begehrt. Handgemachte Trommeln, Silberschmuck, Holzschnitzereien, Tonarbeiten, Indianerkleidung, Decken, Teppiche, Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen. Auch der Gaumen kommt auf seine Kosten. Indianische Delikatessen wie Büffel- und Bärenfleisch sind aber eher selten. Truthahnschlegel, Tacos, Maiskolben und Frittiertes gibt es allerdings in allen Varianten. Eine besondere Spezialität ist „Fry bread”, eine Art frittiertes Fladenbrot mit Puderzucker.
Doch die Veranstaltung ist nicht nur Konsum und Kunstumschlagspunkt. Da das Indianerbild nach wie vor geprägt ist von vielen Klischees und Halbwahrheiten, ist der Indian Market eine gute Gelegenheit mit Indianern persönlich zu sprechen und vor allem ihre Kulturbräuche kennen zu lernen. Im Rahmenprogramm der Veranstaltung spielen Musik, Trommeln, Tanz und Storyteller eine grosse Rolle. Auf der Plaza der historischen Altstadt finden täglich mehrere Aufführungen statt. Die Künstler des Indian Markets sind in einer indianischen Gemeinschaft verwurzelt und bringen hier gemeinsam den Stolz einer ethnischen Minderheit auf ihr überliefertes kulturelles Erbe zum Ausdruck.
Der Santa Fe Indian Market findet vom 20.-21. August 2022 statt. Mehr Info unter www.swaia.org